Tag 1-5: Start in die Sommerfahrt

Die ersten 5 Tage unserer Montenegro Sommerfahrt hatten es bereits in sich: 30h Hinfahrt, massenhaft andere Pfadfinder, Durmitor Gebirge, Wolfsgeheul, Abstieg zur Tara Schlucht, türkises Wasser, doch genug gespoilert!


Tag 1&2 - 30 Stunden Anreise


Am Vorabend noch einen Umzug durchgezogen, konnte ich erst freitagsmorgens zu Ende packen. Zum Ärger von Karline baute ich lieber einen Schrank auf, anstatt mein Fahrtengepäck zusammenzustellen. Mit einem riesigen Lunchpaket von der wieder gut gelaunten Karline im Gepäck und einigen Jutebeuteln in der Hand machten wir uns samt Rucksack auf zum Bahnhof Rothe Erde. Ein Goebbels zitierender Pegida Freund konnte uns nur kurz aufregen: mehr regte uns mal wieder die Bahn auf. Da diese zu spät kam verpassten wir auch unseren Anschlusszug in Düren (Schienenersatzverkehr). Trotzdem schafften wir es uns und unser Stammesgepäck nach Köln-Deutz zu schleppen. Der ganze Parkplatz stand schon voll Mosaiker. Ich traf: die Wikinger, die Wuppis, Sean (samt Zimtschnecken im Gepäck), Kim, uvm. Allen voran natürlich unsere Fahrtengruppe.

Dann ging es auch fast los. Busfahrer Udo, der gerne zu laut Radio hört, begrüßte uns recht herzlich zur ersten Etappe Köln-Nürnberg. Im Bus snackten wir erstmal los und versuchten relativ erfolglos die Gitarren zu stimmen. Kurze Aufregung: wir haben joschi vom Stamm Draconis am Parkplatz vergessen, weil er die Abfahrt filmen wollte. Er wird uns hinterhergefahren.

Die erste Stammesgroßfahrt im eigenen Stamm. Ein ganz besonderes Erlebnis. Am Abend lief „Der Herr der Ringe“. Die Nacht war sehr unbequem und mit wenig Schlaf verbunden. Morgens hielten wir an einem Rastplatz in Slowenien. Einige Bosnier, die mit ihren großen Autos und ihren aufgebrezelten Frauen kaum zwei Interpretationsmöglichkeiten bei ihrer Berufswahl zuließen, und hoch gestapelte Müllberge bildeten ein einzigartiges Panorama. Die Krönung war ein 3 Sterne Hotel, welches geschlossen war und komplett verfiel. Es gab 3 Dixi Toiletten, mit langen Schlangen davor.

Wir klimperten etwas auf den Gitarren. Auf dem nächsten Rastplatz kaufte ich mir einen Kaffee. Als der Mann an der Kasse „thirteen“ sagte staunte ich nicht schlecht. Trotzdem reichte ich ihm 5€, worauf er mir kroatisches Geld, Kunar, zurückgab. Kroatien ist wunderschön: felsig, schroff, trocken.

Ich freute mich darauf endlich anzukommen, Joe, der vorgeflogen war, in die Arme zu schließen und einen Anfangskreis zu machen.

Während „Herr der Ringe 3“ läuft schaue ich aus dem Fenster. Werden wir genug Holz finden? Kann sich unsere Wanderroute durchsetzen? Geplant ist zuerst zur Tara zu wandern, dann zum Crna Glava und von dort nach Podgorica. Dann nach Kotor und zum Strand.

Im Bus sind es ca. 40 Grad. Mittlerweile waren wir in Bosnien angekommen. Unser Bus wartete am längsten an der Grenze, weil 3 Leute aus unserem Bus mit ihren Papieren nicht reingekommen sind. Die mussten zur deutschen Botschaft nach Split und konnten erst einen Tag später nachkommen.

Wir hatten etwas Schiss, dass der Supermarkt in Niksic zu hat, wenn wir ankommen – es war Sonntag und es war Abend.

Durch Bosnien fuhr unser Bus anders als die anderen: eine Serpentinenstraße durch die Berge. Der Bus mit Anhänger dran schien für diese Piste nicht ausgelegt zu sein. Die Straße war an den guten Stellen maximal geschottert. Crissy hatte ziemliche Angst, weil es direkt an der Straße ohne Leitplanke tief hinunter ging. Doch in teilweise bis zu 20 minütigen Wendemanövern schaffte der Busfahrer es immer wieder die nächste Kurve auch noch zu meistern. Einmal setzten wir sogar auf und der Bus musste rückwärtsfahren und mit viel Gas weiter. Die Anhängertür flog auf und beinahe fielen die Rucksäcke raus. Mit seiner ganzen Erfahrung brachte uns der Busfahrer allerdings sicher durch das Gebirge, was ihm einen dicken Applaus einbrachte.

Man sah die Ruinen aus dem Jugoslawienkrieg. Irgendwie ziemlich bedrückend, durchgestrichene Ortsschilder und Einschusslöcher zu sehen.

Ich tropfte beim Trinken aus Versehen einen Tropfen Wasser auf Crissy herunter, als sie einen Schokomüsliriegel aß. Dadurch inspiriert ballerte ich einen Schwall Wasser hinterher auf ihre Nase. Sie erschrak so sehr, dass sie sich die Schokolade im Gesicht verschmierte. Schade, dass der Fotoapparat so weit weg lag!

Nach 30h Fahrt kamen wir in Niksic an und trafen Joe, der mit Johannes aus Dubrovnik, vom Flughafen, kam. Er hatte Geburtstag. Wir hatten ihm einen „Allzeit-Bereit“ Gürtel geholt, der ihm tatsächlich passte. Wir wanderten nach dem Einkauf (die Sorge wegen des Supermarktes war unberechtigt)in Richtung außerhalb der Stadt, an eine gefährlich anmutende Stelle („Drogenjunkieecke“) und schlugen unser Lager im Wald auf. Auf dem Feuer kochte Armin hervorragende Nudeln mit Soße. Joe hatte Speck dabei.

Der Anfangskreis war besinnlich und schön, die Nachtwache später sehr anstrengend, aber notwendig. Immer wieder kamen Pfadfindergruppen, die bei uns ihr Lager aufschlugen.


Tag 3 - The Rise of the Häbät


Crissy weckte mich immer und immer wieder per Seitenpiekser. Irgendwann setzte ich mich mit einer gekonnten Schlafsackrolle zur Wehr. Wir lagen mit ca. 50 Pfadfindern in einem Park, in dem die Einheimischen ihren Müll abluden. Auch die Bundesführer storch und David, die Wildkatzen, Sperber und Roten Milane hatten sich während der Nacht zu uns gelegt.

Wir frühstückten Käse, Eselsalami und Weißbrot. Anschließend ging es zum Supermarkt, um Proviant zu kaufen. Gemüse ist in Montenegro spottbillig. Trotzdem sind Tütensuppen natürlich unverzichtbar. Ich pfiff um die Aufmerksamkeit der Gruppe zu erhaschen und eine montenegrinische Oma fühlte sich geschmeichelt.

Am Busbahnhof kümmerten sich einige um die Karte, einige um Wasser und andere gingen sich in der Bahnhofstoilette waschen. Da es einen Intersport gab, kauften wir für jeden noch eine zweite Sigg Flasche, denn die Temperaturen hatten es in sich.

Die Wartezeit auf den Bus verbrachten wir mit dem ersten Kapitel der „Morgenlandfahrt“.

Zusammen mit der Sippe von Flo von den Sperbern nahmen wir den Minibus nach Zabijak. Der Bus war dermaßen überfüllt, dass die Sperber, inklusive Gepäck, im Mittelgang sitzen mussten. Neben mir saß eine Montenegrinerin, die deutsch sprach. Sie übersetzte die Ansprache des Busfahrers, der noch 1€ pro Gepäckstück haben wollte.


Auf der Fahrt erzählte sie mir, dass sie Bijliane heißt und als Juristin 12 Jahre lang für das ZDF in München gearbeitet hat. Die Montenegriner seien witziger als die Deutschen, im Land gäbe es aber viele Probleme mit Arbeitslosigkeit. „Alle Menschen sind doch Brüder, oder?“, war eine ihrer netten Gedanken. Wir sprachen über Griechenland und Jugendarbeitslosigkeit. In Montenegro gibt es 600.000 Menschen, aber ca. 2 Millionen Handys feixte sie. Der Busfahrer bestätigte dieses Klischee mehrfach. Ein sehr schöner Einstieg in den Kontakt mit den Einheimischen.

Dumidor, unser Ziel ist wunderschön. Der Bus fuhr wegen Überladung und den ganzen Kindern an Bord nur 30. Hinter uns war eine sehr lange Autoschlange, und nicht wenige waren übel genervt.  Es sah aus wie bei „Herr der Ringe“: hohe Berge, tiefe Schluchten. Und zufällig waren wir 9 Gefährten. Fehlte nur noch unser Gollum, doch dazu später mehr.

Flo von den Sperbern, den ich vom Führungsforum kannte, saß irgendwann neben mir. Gemeinsam staunten wir über klare, türkise Bergflüsse, gemähte Weiden (bei denen wir uns fragten, wer das alles mähen soll) und hohe Gipfel.


In Zabljiak angekommen sahen wir den Stamm „Wildgänse“ unter einem Sonnenschirm chillen. Doch wir wollten los. In der Stadt kauften wir eine „Karte“, die verdammt ungenau war. Wir hielten uns östlich in Richtung Tara Schlucht.

Wir kamen an Hotels vorbei durch einige Dörfer. An einer geeigneten Stelle stellten wir die Szene nach, als sich die Hobbits in "Herr der Ringe: Die Gefährten" unter einer Wurzel vor dem Ringgeist verstecken.

Es ging weiter die Straße entlang. Als plötzlich Hicham von hinten „Crissy!“ rief. Crissy, ihres Zeichens Freundin aller Tiere hatte sich vorher über Montenegro informiert und Angst davor gehabt einen streunenden Hund zu finden, in den sie sich verliebt und den sie in Montenegro lassen muss.

Zu unserer Gruppe gesellte sich ein Streuner. Wir hatten einen Fahrtenhund. Nach kurzem Hin-und Her einigten wir uns auf den Namen Herbert (kölsch ausgesprochen, also Häbät). Herbert schien keine Angst vor Autos zu haben und wurde 3, 4-mal fast überfahren. 

Als wir rasteten aßen wir Kekse und Äpfel. Armin war dazu in der Lage Äpfel mit den bloßen Händen in zwei Hälften zu zerteilen. 

Dabei entfernte sich Herbert ein wenig von der Gruppe. Wir nutzten die Gunst der Stunde und eilten einen Wanderweg entlang, den wir für den richtigen hielten. Über einen Hügel rüber und außer Sichtweite von Herbert. Puh. Geschafft.

Wir blickten nach Hinten und sahen eine Staubwolke hinter dem Hügel aufkommen, die schnell größer wurde und näher kam. Auf der Hügelkuppe sahen wir ein kleines, felliges Wesen, das uns schnellstmöglich nachflitzte: Herbert war uns auf den Fersen.

Der Weg entpuppte sich als –wunderschöne – Sackgasse. Die netten montenegrinischen Bauern schickten uns zurück und warnten uns davor, dass die Tara Schlucht noch etwa 6h die Hauptstraße entlang zu wandern wäre. 


Herbert hatte Durst, es war warm und nirgends gab es Pfützen oder Wasser. Also bekam er von uns etwas, obwohl wir ausgemacht hatten ihn nicht zu füttern. Am Horizont sahen wir eine Fahrtengruppe, die einen Wanderweg nahm – das musste der Weg zur Tara Schlucht sein! Wir machten uns im Eilschritt auf den Weg. Am Wegesrand lag ein toter Igel, und Herbert wurde ein weiteres Mal fast überfahren. Der Junge beanspruchte unsere Nerven schon, obwohl wir ihn erst seit ein paar Stunden kannten.

Als wir endlich am Wanderweg ankamen teilte sich dieser schnell in zwei Wege. Unsere Karte, die sich maximal zum Feuer anzünden eignete war keine Hilfe. Joe ging mit Yannick und Finn den einen Weg entlang nachschauen, während Hicham und ich den anderen Weg entlang gingen um unsere Wasservorräte nachzufüllen. Wir kamen an einen Ferien-Bauernhof an dem wir leckeres Trinkwasser bekamen. Ein montenegrinischer Opa begrüßte uns auf Deutsch und war erfreut, dass wir aus Köln kamen, da er selbst seit 20 Jahren in Düsseldorf lebt und in Montenegro nur Urlaub machte. 

Obwohl er Düsseldorfer Migrationshintergrund hatte verstanden wir uns prächtig mit ihm. Zurück bei der Gruppe hatten unsere Späher den richtigen Weg gefunden. Der Weg führte uns durch eine Schlucht, die allerdings weder die Tara Schlucht war, noch Wasser führte. Als wir unten in der Schlucht waren entschieden wir, dass wir dort unser Lager für die Nacht aufschlagen würden. Es war eine weite ebene Fläche mit weichem gut gemähtem Gras. 

Weil sich der Himmel merklich zuzog beeilten wir uns mit dem Kohtenaufbau. Es war zum Glück nur ein kurzer Regenschauer, der uns leicht nass machte. Nach dem Regen jedoch wurden wir von Insekten angegriffen: irgendwas in der Größe von Hornissen verfolgte uns. Bloß nicht provozieren. Doch was soll man machen, wenn die Viecher auf einem Landen wollen? Ich schlug das eine Insekt mal um mal weg von mir, doch es ließ nicht locker und schien auf einmal seinen Bruder geholt zu haben. Was wenn ich von so einem dicken Brummer gestochen werde? Ich verteidigte mich so gut es ging, doch mit jedem erfolgreichen Ausweichmanöver kamen Onkel und Tanten des Brummers hinzu, um ihm zu helfen. Auch die anderen waren mittlerweile Ziel einer ganzen Insektenfamilie, eines Stammes geworden.

Ich flüchtete in die Kohte, die inklusive Dach einigermaßen dicht aufgebaut war. Durch ein Loch sah ich auf einmal Insekten hereinkrabbeln. Ich rannte wieder heraus. Irgendwann war der Platz dermaßen voll mit diesen Tierchen, dass man nicht viel anderes mehr sehen konnte. Auch unser Feuer oder der Qualm konnte sie nicht vertreiben. Wir resignierten, gestochen hatten sie uns immerhin nicht. Nach und nach wurde uns klar, dass es sich um Maikäfer handelte. Nervig, aber ungefährlich!

Um genug Wasser für den Reis mit Jägersoße zu haben, den wir kochen wollten, gingen Carsten und ich zu einem Bauernhof Wasser holen. Die Montenegriner waren sehr freundlich und freuten sich und lachten. Ich fragte mich, was sie wohl ausheckten – bis ich eine junge Frau mit einer Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit aus dem Haus kommen sah. Oh je, die montenegrinische Gastfreundschaft – wir waren vor der Fahrt gewarnt worden: „es gehört dazu, dass man auf einen Schnaps eingeladen wird, ablehnen ist eine äußerst unhöfliche Geste“. Zu unserem Glück war nur noch ein Rest in der Flasche, trotzdem eine Herausforderung sich mit leerem Magen als guter Gast zu zeigen. Joe fand einen passenden Spruch, zu selbstgebranntem Schnaps: „Doppelt oder nichts: Entweder du siehst doppelt, oder nichts mehr.“. Zum Glück konnten wir danach direkt zur Verdünnung 2Liter Wasser hinterherkippen.

Es gab angebrannten Reis mit Jägersoße und angebratenen Auberginen. Vom einen auf den anderen Moment war es dunkel, zumindest gefühlt. Die Sterne waren zu sehen. Wir saßen noch eine Zeit lang um das Lagerfeuer.

In der Nacht dann auf einmal lautes Wolfsgeheul aus dem Wald neben uns. Herbert rastete aus, bellt, rannte zum Wald. Crissy in Sorge. Doch wir anderen werden trotz der lauten Geräuschkulisse nicht wach. Das Wolfsgeheul hörte auf und Crissy holte Herbert wieder zurück. Er schlief in dieser Nacht zur Sicherheit in der Kohte.


Tag 4 - Die tiefste Schlucht Europas


Als wir aufstanden erzählte Crissy uns erst mal, was in der Nacht passiert war. Wir waren uns einig: Herbert hatte sich mit seinem mutigem Einschreiten einen Platz in der Gruppe verdient. Carsten formulierte es später einmal so „Es ist entweder großes Glück oder Schicksal, dass wir einen Hund gefunden haben. Wer weiß, wovor uns seine Anwesenheit alles bewahrt hat.“.

Zum Frühstück gab es Kaffee – ein wunderbarer Start in den Tag. Außerdem spritzten wir etwas mit Wasser rum, da es auch schon anfing heiß zu werden. Zunächst wanderten wir die Schlucht in der wir geschlafen hatten wieder hoch und kamen dann in eine Art Hobbingen – ein grünes Bauerndorf in dem noch alles in Ordnung war. Nach einiger Zeit sahen wir auf der rechten Seite eine Kapelle, ein Indiz, das tatsächlich auch mal in der Karte eingezeichnet war. Wir waren also auf dem richtigen Weg.


Nach einer Anhöhe blickten wir in eine dicht bewaldete tiefe Schlucht hinab. War das die Tara Schlucht? Oder bloß eine weitere vorgelagerte Schlucht? Gab es Wasser am Fuße der Schlucht, oder ein Dorf?

Wir machten uns an den Abstieg. Ein „Weg“, der mehr an eine Mischung aus ausgetrocknetem Bachlauf und einer Erdrutschschneise erinnerte, war nicht immer leicht zu finden. Herbert half uns wo er kann und pirschte immer voraus, um uns den richtigen Weg zu zeigen. Manchmal war er für eine halbe Stunde weg, sodass man sich fast Sorgen machte, bevor er gut gelaunt irgendeinen Berghang hinuntergewetzt kam.

Die Landschaft erinnerte an einen Urwald – man konnte vor lauter Bäumen den Himmel nicht mehr sehen – und das Klima war tropisch, mit einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit. Wir kletterten den Weg weiter herunter. Manchmal war es dank der extremen Steigung mehr ein rutschen, als Gehen. Hicham knickte einmal um (Markenschuhe so günstig, …) und auch ich musste ein, zweimal mit dem Gleichgewicht kämpfen. Schroffe Felswände links und rechts, immer mehr Insekten die uns umkreisten, und bereits einsetzender Muskelkater in ganz anderen Muskelpartien als beim Berg hinauf laufen.

Wir fanden verfallene Häuser noch aus UdssR Zeiten, einen versiegten Brunnen und immer mehr Mücken. Zu Mittag gab es pro Person ein altes Schokobrötchen (danke Carsten) und ein Mentos (danke Crissy), sowie unser letztes Wasser aus den Wasserflaschen. Die tiefste Schlucht Europas – wir hatten sie unterschätzt. Und es war immer noch nicht klar, ob es tatsächlich jene Schlucht ist, und ob es unten Wasser gibt. Langsam machte ich mir Sorgen.


Mittlerweile waren wir 4 Stunden lang bergab geklettert. So langsam bekam ich Durst. Endlich mal ein kleines Stück gerader Fußweg, das sorgt für Entspannung in dem Gelenken. Vor uns taucht ein Haus auf hinter einigen Büschen. Nicht verfallen, nicht zugenagelt. Unsere Schritte wurden schneller. Draußen an einem Tisch saßen ein alter Mann und sein jüngerer Sohn. Ich frug nach Trinkwasser, deutete auf unsere Flaschen. Der jüngere schaute mich an und schüttelte den Kopf. In der einen Sekunde bevor er weitersprach wich mein Gefühl der Hoffnung dem Gefühl eines absoluten Tiefpunktes. „Kein Wasser? Und was trinkt der den ganzen Tag, außer Slibowitz?“ dachte ich mir. Doch eine Sekunde später deutete er geradeaus weiter und sagte „Tara 100 Meter“. 

Er grinste und ging voran. Unsere Gangart würde ich als jubelnden Gang beschreiben. Und nach 100 Metern standen wir am türkisblauen Wasser der Tara. Am Rande floss eine Trinkwasserquelle aus dem Garten des Bauern in die Tara. Wir fingen sofort an zu trinken.

Selbst Yannick und Finn, tags zuvor noch die großen Pepsi Verfechter „Ich verstehe nicht, warum wir auf Fahrt keine Pepsi trinken dürfen!“ „Pepsi ist das beste Getränke der Welt“ […] gaben zu, dass sie noch niemals etwas Leckereres getrunken hatten. 

Erschöpft fielen wir auf die Steine des Tara-Ufers. Etwas weiter flussaufwärts sahen wir eine Wiese auf der wir lagern wollten. Gegenüber fuhren Leute mit Rafting Booten los. Als wir an der Wiese ankamen entpuppte sie sich als schlecht besuchten Campingplatz, der Inhaber als unfreundlichen Touristenabzocker. Wir versuchten es weiter flussaufwärts, vorbei an einem Pferd (das Herbert nicht besonders mochte und umgekehrt), doch der Weg und die begehbare Uferböschung hatten bald ein Ende.

Gut, erst mal ein kaltes Bad nehmen – und kalt war gar kein Ausdruck! Auch zum Schmutz in unseren bisher getragenen Kleidungsstücken sagten wir „BON VOYAGE!“. Wir wuschen uns dank biologisch abbaubarem Shampoo ohne schlechtes Gewissen an dem vielleicht schönsten Fluss Europas. Der Touristen-Abzocker kam samt eines Übersetzers und setzte sich neben uns. Eine lange Zeit beobachteten sie uns einfach um irgendwann zu erklären, dass wir bei ihm schlafen sollen, weil auch dieses Stück Strand an dem wir standen zu seinem Grundstück gehörte. Das wiederholte er gefühlte 10-mal, auch wenn wir uns bereits Bedenkzeit erbeten hatten. Als er weg war war es endlich wieder still und man konnte sich wohl fühlen.


Doch wir hatten noch ein zwei ungeklärte Fragen für den restlichen Tag: was sollten wir Essen und wo sollten wir schlafen? Während Armin erfolglos versuchte einen Fisch an die Leine zu bekommen, gingen Hicham, Joe und ich zum freundlichen ersten Bauern. Er aß gerade mit seinem Bruder und seinem Vater Wassermelone an der Tara. Wir bekamen reichlich ab! Mit Händen und Füßen verständigten wir uns darauf, dass wir auf seinem Grund und Boden schlafen durften. 

Er teilte uns seinen Respekt dafür mit, dass wir den alten Weg in die Schlucht heruntergekraxelt waren. Zur nächsten Stadt waren es leider einige Kilometer und einen weiteren Gewaltmarsch die Schlucht hinauf konnten wir uns für heute nicht zumuten. Daher handelten Hicham und Joe Gemüse und Ziegenkäse vom Bauern aus (sie wurden mit klassischer montenegrinischer Gastfreundschaft empfangen…), das wir zum Abendbrot zu einem marokkanischen Gemüseeintopf verwandelten.

Später versuchte ich auch noch mein Glück an der Tara, doch auch mir wollte es nicht gelingen einen Fisch zu fangen. Herbert musste auf dem Grundstück des Bauern angeleint sein, da er eine kleine Privatfehde mit einem ebenso mutigem wie Testosteron-geladenen Ziegenbock angefangen hatte.

Sobald Herbert seine Leine (unser Kohtenkreuztampen) an hatte bewegte er sich keinen Schritt mehr. Wem das übertrieben vorkommt: er bewegte sich KEINEN einzigen Schritt mehr. Heißt: er legte sich auf die Seite und das war es. Man hatte die Option ihn loszumachen oder zu tragen. Richtiger Straßenköterlifestyle.

Wir aßen uns am köstlichen Eintopf satt (und Armin an gebratenen Grashüpfern). Aus dem Feuer machten wir ein großes Lagerfeuer, direkt an der Tara im Sand. Das getrocknete Holz vom Bauern brannte aus irgendeinem Grund nicht. Wir klimperten noch ein wenig auf der Gitarre („Unser Vorbild ist, der Herbertslav Schiburka“) und genossen das Rauschen des Flusses und das Prasseln des Feuers. 

Der Himmel war sternenklar. Man sah so viele Sternschnuppen, das man bald Probleme hatte sich neue Wünsche zu überlegen. Um uns herum blinkten immer wieder kurz gelbe Glühwürmchen auf. Wir schliefen unter freiem Himmel.

Paradies.


Tag 5: Einmal Zabijak und Zurück


Die Sonne schien in die Schlucht, und mir direkt ins Gesicht – der Tag hatte begonnen. Ich ging in meine Angelbucht vom Vortag, schwamm ein wenig im eiskalten Wasser, dann wusch ich mich. Crissy kam mit Herbert vorbei. Wir wuschen ihn, obwohl er nicht ins Wasser wollte, per Siggflasche und Crissy verpasste ihm eine neue, flotte Frisur.

Als wir zurückkamen war der Kaffee bereits fertig und das Frühstück zubereitet. Der Ziegenkäse schmeckte köstlich, das Brot ebenfalls. Beim Frühstück stimmten wir ab, wie wir weiter verfahren wollten, und entschieden uns vom Touristenabzocker vom Vortag zurück nach Zabjiak fahren zu lassen. Vorhersehbar war, das er nun den 1,5 fachen Preis dafür wollte, den er am Vortag verlangt hatte. Was solls, immerhin gab es eine Tara-Überquerung im Schlauchboot „gratis“ dazu. Er musste uns nicht sympathisch sein, Hauptsache er brächte uns in die Stadt.

Wir entfernten die Lagerfeuerstelle komplett, hinterließen alles, wie wir es vorgefunden hatten und überquerten dann in 4er Gruppen im Schlauchboot die Tara. Übrigens der Bauer bei dem wir geschlafen hatten, überquert die Tara mit seiner eigenen Zip-Line.

„Captain“ Carsten hatte seine Admiralsmütze aufgezogen. Seine tollkühne Crew fürchtete die Überfahrt über das wilde Wasser also nicht. Herbert hingegen ist was Wasser angeht eher eine Katze als ein Hund und hat in der Nähe einer Pfütze die Körperhaltung eines Zeichentrick-Elefanten, der eine weiße Maus sieht.

Am anderen Ufer mussten wir noch über einen kleinen Bach rüber und waren dann bereits am VW Bus („Volkswage gut!“). Unser Fahrer wollte unbedingt, das Crissy vorne sitzt, musste dann aber mit mir vorlieb nehmen. Ich konnte mich seinen Flirtversuchen allerdings erfolgreich widersetzen! 

Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde, es ging allerlei engste Serpentinen rauf und wir mussten mehr als eine Vollbremsung machen, weil uns ein ebenso schnell fahrendes Fahrzeug entgegenkam (bei den Fotos muss man immer bedenken, dass es in Montenegro permanent 40°C im Schatten ist). Herberts erste Autofahrt seines Lebens war ziemlich aufregend. Es ging raus aus der Schlucht und über die Tara-Brücke. Schade, dass wir kein Foto machen konnten! 

Zurück in Zabjiak trafen wir dann am Supermarkt die Sperber, und rieten ihnen ebenfalls in die Tara-Schlucht zu wandern. Wir aßen köstliches Börek zu Mittag. Herbert bekam seine erste eigene Dose Hundefutter und wir machten uns auf Richtung Busbahnhof. Nächstes Zielt: Kolasin! Die Jungs hatten sich viel zu viele Süßigkeiten gekauft, was sich zum Vorteil der gesamten Gruppe entpuppte.

Auf dem Weg zum Busbahnhof wurde Herbert mal wieder fast überfahren, als er über die Straße lief, wir panisch seinen Namen riefen, er sich zu uns umdrehte und glotzte und das herannahende Auto hinter sich nicht bemerkte. Da Hunde in Montenegro nicht denselben Stand wie bei uns haben, sondern vielleicht vergleichbar mit Ratten bei uns sind, kann man sich vorstellen wie sorgsam die Autofahrer auf Hunde im Straßenverkehr aufpassen. Daher war es großes Glück ihn noch lebend von der Straße zu kriegen.

Ein direkter Bus nach Kolasin existiert nicht, und ob es noch eine Verbindung an diesem Tag nach Kolasin gäbe konnte uns die Mitarbeiterin des Busbahnhofs leider nicht beantworten. Wir sollten zur Tara Brücke mit dem Bus fahren und dort schauen ob da noch was fährt. Tara-Brücke? Da waren wir doch eben erst. Ich ärgerte mich schon ein wenig über die verschwendete Zeit und die verschwendeten Gelder. Doch nichts geschieht umsonst, wir hatten immerhin noch Zeit weiter in der Morgenlandfahrt zu lesen. Zudem gab es eine fette Wassermelone!

Als der Bus kam stieg ein sehr unfreundlicher Busfahrer aus. Er stopfte meinen Rucksack in den bereits vollen Kofferraum und trat erst auf meinen Rucksack ein, dann auf die Heckklappe des Kofferraums, bevor er mir sagte, dass ich den Rucksack mit rein nehmen müsse. Als wir ihn frugen ob wir Herbert mitnehmen dürfen machte er einen riesigen Aufstand, weil dieser haarte. Wir legten eine Isomatte aus und ließen uns nicht abwimmeln. Crissy wurde während der Fahrt andauernd von Einheimischen fotografiert, die es  nicht fassen konnten, dass jemand mit einem Hund Bus fährt. Das hat mir ein wenig geholfen ein Verständnis dafür zu bekommen, wie Montenegriner Hunde sehen.

Der Bus war wieder gnadenlos überfüllt. Festhalten war nicht möglich, ein Mädchen klemmte meine Finger zwischen einem Klappsitz ein. Es war außerdem seltsam die Strecke zur Tara-Brücke jetzt zum dritten Mal zu sehen.

Als wir ankamen erwartete uns ein klassischer Touristen Hot-Spot: Zip-Lines über die Schlucht, Verkaufsstände, Rafting, Campingplätze, Leute die einen Anquatschen – nicht unsere Welt! Von der Brücke hinabzublicken war allerdings sehr schön. 


Ich hatte Gelegenheit die Geschichte der Brücke zu erzählen. Sie geht in etwa so: Der Architekt der Brücke war während des zweiten Weltkriegs gezwungen seine eigene Brücke in die Luft zu sprengen. Er sprengte diese, allerdings so, dass man sie später wieder aufbauen konnte. Als das Land von den Feinden besetzt wurde, wurde der Architekt auf seine eigene Brücke geführt und dort erschossen. Ziemlich bedrückend.

Bei der „Touristeninformation“ konnte man lediglich Rafting-Touren buchen, als ich nach einem Bus nach Kolasin fragte wurde ich rausgeschmissen. Es gab keine Bushaltestelle oder ähnliches, ein Mann erzählte mir man müsse den Bus auf der Straße anhalten. Ob noch einer fährt wusste nur eine Frau, die uns über Nacht auf dem Campingplatz haben wollte: „No there is no bus going today“. Eine Information mit der man nichts anfangen kann.

Hicham versprühte Eigeninitiative und organisierte uns einen Privatbus, der uns nach Kolasin bringen würde. Obwohl der Bus privat war kostete er genau so viel wie unser Bus von Niksic nach Zabjiak, und da die Strecken identisch waren konnten wir unseren Meister der Münze, Armin, von der Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens überzeugen.

Unser Fahrer war ein Campingplatz Besitzer. Deutsche sähe man in Montenegro selten, häufiger kämen Belgier meinte er. Er fuhr uns die gesamte Taraschlucht entlang. Nirgendwo Wanderwege, nur die Schnellstraße. Und so wie die Montenegriner fahren konnten wir froh sein die Strecke nicht wandern zu müssen. Überall das gleiche Bild: Berge und noch höhere Berge. Was wohl das „Monte“ in Montenegro wohl bedeuten könnte…

Ein Stück vor Kolasin deutet unser netter Fahrer auf eine Brücke und meint, dass dort den Berg rauf ein schöner See zu finden wäre. Überall im Minibus die gleiche Reaktion: gerade noch fuhr man in Gedanken ein Auto auf einer Straße der Pläne in Richtung Ziel, plötzlich eine Vollbremsung. „Schöner See?“. Wir sagen ihm er soll bitte anhalten. Aussteigen und Richtung See, wir sind jung, wir sind spontan, wir sind Pfadfinder!

Beim Ausladen ist unser Fahrer allerdings Montenegriner durch und durch und so vorsichtig mit unseren Sachen, wie eine Abrissbirne mit einem baufälligen Haus. Hicham, der eine Glasflasche mit Rotweinsoße transportiert, hört es klirren. Als er das Ausmaß der Versiffung erkennt ist der Fahrer längst über alle (montenegrinischen) Berge. Wir sind bereits auf die Brücke gegangen, um von den vorbeifahrenden Autos nicht überfahren zu werden. Hicham steht noch am Straßenrand. Ich rufe er solle doch zu uns rüberkommen, weil es hier sicherer ist. Er hört mich nicht. Er versucht Teile seines Rucksacks vor der Soße zu retten, doch es klappt nicht. Mal um Mal wirft er die Hände nach oben. Er hat keine Idee was er machen soll. Er tut mir ziemlich Leid, seine fassungslosen Gesten machen es mir allerdings nicht einfach ein Grinsen zu unterdrücken.

Als er kommt riecht sein Rucksack nach vergorenen Trauben. Doch nicht so schlimm, ein paar Meter weiter ist sein Ärger verflogen. Wir kommen an eine Wanderkarte (natürlich haben wir auch von diesem Teil Montenegros keine Karte gefunden). Die Karte, die hier auf einer Tafel fest montiert steht, ist an der Stelle, an der wir sind ausgeblichen, weil da scheinbar zu viele Wanderer mit ihrem Daumen draufgekommen sind.

Im Endeffekt gibt es zwei Wege: rechts ein kleiner Pfad/Wanderweg, oder links die Straße rauf. Jeder Pfadfinder weiß wie er sich in so einem Fall entscheiden muss. Leider endet der Wanderweg ca. nach 20 Minuten  und einem leichten Anstieg an einer Bahnstrecke, sowie einem verlassenen Bahnhäuschen. In das Häuschen hätten wir allerdings maximal zu dritt reingepasst. Armin und ich schauen, ob da ein Wanderweg hinter dem Häuschen weitergeht, doch in der fast kompletten Dunkelheit finden wir nichts. Kurze Überlegung was wir machen sollen. Gelb blinkende Glühwürmchen erhellen immer wieder kurz den weg. Gleich zu Beginn des Wanderweges ist ein großer Baum und in der Nähe eine Feuerstelle. Vielleicht schlafen wir einfach hier? Der Mond steht bereits am Himmel. Wir gehen zurück zum Baum, stellen aber fest, dass die Vorhut der Gruppe, Crissy, Dresen und Carsten bereits vorgeprescht sind. Ich schmeiß meinen Rucksack hin und verfolge sie joggend zu Fuß, die Straße rauf. Die Steigung wird immer stärker. Wie weit haben die drei es in so kurzer Zeit bitte geschafft? Ich komme vorbei an einem verlassenen Haus,  mit eingeworfenen Scheiben und purer Finsternis dahinter. Gruselig. Von der Straße führen Wege in den Wald. Sind die drei einen dieser Wege gegangen?

Ich beginne zu rufen, doch kriege keine Antwort. Mittlerweile bin ich eine Viertelstunde gejoggt. Mir kommt ein Auto entgegen, etwas in Sorge stoppe ich es und frage die drei Damen, ob sie Leute wie mich gesehen hätten. „Sure, just 500 meters up the hill.“ Kriege ich als Antwort. Gott sei Dank! Ich stapfe hoch. Dann den Berg wieder runter. Meine Augen spielen mir einen Streich, ich glaube eine Bewegung im verlassenen Haus gesehen zu haben. Schnell weiter. Ein Taxifahrer hält bei mir an, wir sollen bloß nicht an der Straße schlafen, die Polizei würde patrouillieren. Und in den Bergen könnte es gefährlich sein. Ob er uns für wenig Geld zum See fahren solle? Wir sind Pfadfinder! Nein danke, sehr nett, aber wir wandern.

Mit allen anderen den Berg wieder hoch. Joe kann seinen Rucksack nicht mehr tragen, Armin hilft ihm. Etwas dicke Luft in der Fahrtengruppe. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass alle hungrig sind. Wir legen uns einfach abseits des Weges ins Gestrüpp. Von der Straße aus sind wir hier nicht sichtbar. Der Mond steht am Himmel, Sterne sind zu sehen. Wir machen kein Feuer mehr sondern essen das Brot auf, das für übermorgen geplant ist. Ajvar ist absolut köstlich. Der Berg, in dessen Blickrichtung wir schlafen, erinnert mich stark an den Monte Veritá.

Als der Hunger vertrieben ist wird die Stimmung besser. Wir feixen noch darüber, was wir machen würden, wenn wir wüssten, dass morgen ein Asteroid die Menschheit auslöschen würden (besonders witzig war Yannicks Antwort), lauschen Armins Erklärungen zu den Sternbildern und schlafen ein.



Bericht und Fotos von basti

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